Die Bundeswehr als Retter der Pflegeheime?

Nach der ersten Welle der Pandemie beteuerten Politiker und Behörden: Von nun an schützen wir die besonders Bedrohten – die Älteren in den Pflegeheimen. Doch dieses Versprechen hielten sie nicht. 

Viele Corona-Tote lassen sich auf Ausbrüche in Pflegeheimen zurückführen. In Schleswig-Holstein etwa waren es im Dezember rund 90 Prozent aller Fälle. Bereits vor ein paar Wochen erklärte das Robert-Koch-Institut: Man zähle fast doppelt so viele Ausbrüche wie in der ersten Welle. Gelange das Virus in ein Heim, stecke es durchschnittlich 20 Personen an.

Bewohner und Mitarbeitende kommen sich nah, dazu die Besuche der Familie. Kurzum: sehr viele Kontakte und sehr viele alte Menschen – perfekte Bedingungen für das Virus, um großen Schaden anzurichten. Bundeskanzlerin Angela Merkel  sagte Anfang der Woche in einer Sitzung der Unionsfraktion laut Teilnehmern, die Lage in den Heimen betrübe sie.

Es stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte. Schon in der ersten Welle der Pandemie waren die Heime mit ihren etwa 800.000 Bewohnerinnen und Bewohnern jene Orte, in denen das Virus besonders heftig um sich griff. Beinahe alle Pflege-Experten mahnten, dies dürfe sich nicht wiederholen.

Viele Heime hatten sich damals zunächst abgeschottet – sodass die Bewohner vereinsamten. Das sollte sich nicht wiederholen. Nach einer breiten gesellschaftlichen Diskussion folgte ein Mittelweg: offen sein für notwendige Besuche und doch geschützt vor dem Virus, so gut es geht.

Im Oktober, als die zweite Welle sich erst langsam anbahnte, warnte Gesundheitsminister Jens Spahn  im Gesundheitsausschuss: Alle Studien zeigten, die Hauptrisiko-Korrelation sei das Alter. Alle Beteiligten waren sich damals einig, dass drei Dinge notwendig seien, um die Älteren zu schützen: Schutzmaterial, Schnelltests und ausreichend Personal für eine Branche, in der schon zu normalen Zeiten mehr als 20 Tausend Mitarbeitende fehlen bzw. eine 30 prozentigen tägliche personelle Unterbesetzung in jedem deutschen Pflegeheim besteht, worauf ich seit 1991 !! hinweise. Kein Wunder also, dass die Maßnahmen nicht ausgereicht haben.

Doch warum konnten die Infektionen nicht verhindert werden? Das geringste Problem scheint das Schutzmaterial, es gibt – anders als im Frühjahr – genug FFP2-Masken, berichten Heimleiter. Auch die Idee mit den Tests schien zunächst gut anzulaufen: Ab Herbst sollten alle, die Heime betreten, per Schnelltest zuvor überprüft werden, mindestens zweimal pro Woche – so lautete die vage Vereinbarung zwischen Bund und Ländern.

Allerdings: Eine tatsächlich verbindliche Abmachung wurde erst Mitte Dezember getroffen: Die Kosten für die Testkits übernehmen die Krankenkassen, die Heime mussten sie nur noch beschaffen. Zusätzlich aber mussten sie Helfer finden, die die Tests durchführen, denn das kostet Zeit. Und so sind wir wieder beim Kernproblem. Eine solche Zusatzaufgabe ist im Alltag eines Heimes kaum zu bewältigen. Mehr Personal wäre notwendig.

Schaut man auf die Todeszahlen rächt sich, dass in den Pflegeheimen viel zu spät und zu wenig getestet wurde. Pflegeheime – so habe ich gefordert – müssten daher zu „besonderen Schutzzonen“ werden – alle, die dort leben, arbeiten sowie ein- und ausgehen, müssten getestet werden.

Kurz vor Weihnachten spitzte sich die Personalknappheit vielerorts zu. Die Infektionslage wurde schlimmer, gleichzeitig mussten die Heime jetzt auch noch die bald anstehenden Impfungen organisieren. Die meisten Heime setzten ein neues Sicherheitskonzept um: Zugang zum Heim nur noch mit negativem Schnelltest. Ein enormer Aufwand, immer muss ein Mitarbeiter am Eingang stehen, um die Daten der Besucher aufzunehmen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege wies darauf hin, dass bundesweit etwa jedes dritte Heim händeringend nach Hilfskräften für die Testungen, je zwei Kräfte pro Einrichtung, suche. Das bedeutet:  rund 9300 Hilfskräfte. Nur: Wo sollen sie herkommen? und das bei der oben beschriebenen personellen Unterdeckung von 30 Prozent vor der Corona-Pandemie!

Mit Überstunden und eng getakteten Dienstplänen ließ sich der vorhanden personelle Notstand  jedoch meist notdürftig überdecken. Nun spitzt sich die Lage dramatisch zu: Der Betreuungsbedarf wächst, auch wegen der strengen Hygienevorschriften. Zeitarbeiter können diesen Engpass nur kurzfristig abfedern – und verschärfen dabei sogar das Risiko einer Ansteckung. Denn dadurch gibt es oftmals eine hohe Fluktuation an Mitarbeitern und dies führt in Zeiten der Pandemie zu einem erhöhten Infektionsrisiko.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel sah zu wenig Fortschritt und machte kurz vor Weihnachten den Personalmangel zur Chefsache. Sie rief zum informellen Krisengipfel im Kanzleramt. Merkel bat Spitzenvertreter von Wohlfahrtsverbänden, Hilfsorganisationen, Seniorenvertretungen und Kommunalverbänden zu sich. Ihre Idee: Zentral organisiert vom Bundeskanzleramt, sollten bald schon Tausende externe Kräfte in die Heime entsendet werden.

Ein besserer Vorschlag kam vom  Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Reuter : Alle Bundesländer sollten in die Lage versetzt werden, den Katastrophenfall auszurufen, so wie Bayern es bereits getan hatte. Dies sei der schnellste Weg, um die ehrenamtlichen Sanitätshelfer vom Roten Kreuz, der Feuerwehr oder des Technischen Hilfswerks loszuschicken. Das Kanzleramt aber lehnte ab, wahrscheinlich wollte man sich nicht noch einmal mit den oft eigenwilligen Länderchefs abstimmen.

Stattdessen beauftragte das Kanzleramt die Bundesagentur für Arbeit, innerhalb von Wochen eine neue Internetplattform und Telefonhotline zu installieren, über die bundesweit Hilfskräfte angeworben werden sollten. Am 11. Januar, so die Vorgabe des Kanzleramts, sollte die Plattform starten. Doch vieles war ungeklärt. Etwa: Wer genau sollte die Hilfskräfte bezahlen, die 13 Euro pro Stunde erhalten sollten? Wie könne deren Qualifikation überprüft werden? Fragen warf auch die Verteilung der Helfer über das Bundesgebiet auf. Das Ergebnis: Die Plattform ist nach wie vor noch nicht  scharfgestellt und wird es wohl auch nicht mehr.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, sagt: „Die nächsten zwei bis vier Wochen werden für die Einrichtungen der Altenhilfe im Kampf gegen das Virus entscheidend sein: Solange wird es noch dauern, bis die meisten Bewohnerinnen und Bewohner in den Heimen den vollen Impfschutz genießen.“ Der Weg über die Vermittlungsplattform der Bundesagentur für Arbeit sei „erkennbar für die überforderten Strukturen vor Ort nicht ausreichend“, da deren Auswahl und Schulung zusätzlich organisiert werden müsse. Neher fordert deshalb, den bisher ignorierten Vorschlag endlich umzusetzen: Deutschlandweit Sanitäter von Rotem Kreuz und aderen Hilfsorganisationen heranzuziehen, auch die Bundeswehr.

An alternativen Vorschlägen aus der Politik mangelt es nicht. Die Grünen-Pflegeexpertin im Bundestag, Kordula Schulz-Asche, plädiert etwa für kommunale Krisenstäbe, die die Lage in den Heimen im Blick behalten und im Notfall regionale Kriseninterventionsteams in die Heime schicken sollen. Und FDP-Gesundheitsexperte Schinnenburg schlägt vor, Studenten in die Heime zu schicken, die Studentenjobs wegen Corona verloren haben.

Mittlerweile ist das Personalproblem bei den Testungen nicht mehr das einzige in den Heimen. Hinzu kommt, dass viele Pflegekräfte sich offenbar nicht impfen lassen wollen – obwohl sie viele Risikokontakte haben. Hier liegt m.E. ebenfalls ein Versäumnis der Politik: Sie hätte Pflegekräfte direkter ansprechen und von Beginn an mitnehmen müssen, durch Informationsgespräche oder Broschüren.

Der Pflegeheimverband bpa schätzt auf Basis von Daten aus Nordrhein-Westfalen, dass es derzeit in mehr als jedem vierten Heim ein Infektionsgeschehen gibt. Das wären gut 3500 der insgesamt rund 14.000 stationären Pflegeeinrichtungen im Land. Deutlich aussagekräftiger als die Zahl der Infizierten, heißt es beim bpa, sei die Zahl jener, die im Heim an Covid-19 sterben. Von den mehr als 24.000 Menschen, die allein seit dem 1. Dezember am Virus starben, waren die meisten Heimbewohner.

Und so fällt umso mehr auf, wer tatsächlich handelt. Die Verteidigungsministerin etwa, die zum Schutz der Bewohner bis zu 10.000 Soldaten für Corona-Tests in die Heime abkommandieren will. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer hatte offenbar die Geduld verloren, der Lage einfach weiter zuzuschauen. Den Schwächsten, sagte sie, müsse geholfen werden.

Gerade erhalte ich die Nachricht, dass die Bundeswehr jetzt doch nicht in jedem Pflegeheim eingesetzt werde, da es sich nicht um einen Katastrophenfall handele!

So bleibt doch wieder alles an den zu wenigen und überbelasteten Pflegenden hängen. Wie schlimm muss es eigentlich noch werden?