Sozialunternehmen fordern radikales Umsteuern

Alexander Künzel und Ulrich Kuhn vom Netzwerk SONG, einem Zusammenschluss von Sozialunternehmen – ich war Mitinitiator dieses Netzwerkes – sind überzeugt:

“Der Tsunami des demographischen Wandels wird unser Pflege- und Gesundheitssystem auseinanderreißen. Um das zu verhindern, braucht
es eine radikale Umsteuerung in unserer Pflegepolitik.”
Und sie machen dafür konkrete Vorschläge, wie die Zeitschrift
“sozialreport sg” in ihrer Ausgabe vom 12. Februar 2018 berichtet:

“Jenseits aller lobbygesteuerten Stellungnahmen zum Projekt Pflege in der Großen Koalition versucht das Netzwerk SONG, “unparteiisch, aber nicht neutral, die tatsachliche Dimension des Themas Pflege zu politisieren”, so Alexander Künzel(Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstifung) und Ulrich Kuhn (Stiftung Liebenau, Geschäftsführer des Netzwerk:
Soziales neu gestalten – SONG). Ihr Statement:

“Ob (begrüßenswerte) Tarifbindung, ob (vollig unzureichende) Stellenaufstockung, ob (noch lange nicht geklarte) Generalistik – all diese Detail-Themen treffen den Kern der Jahrhundertaufgabe nicht! Es braucht eine radikale Umsteuerung in unserer Pflegepolitik.

Wir erleben schon jetzt, dass der demografische Wandel mit seinem dramatischen Mangel an hauptamtlichem Personal in den Pflege- und Gesundheitsberufen zum Kollaps traditioneller Versorgungssettings führt! Gerade im Kontext des Themas Pflege müssen deswegen im jeweiligen Wohnquartier zwischen Zivilgesellschaft und Hauptamtlichkeit neue, tragfähige Sorgesettings entwickelt werden.

Stärkung der Pflege-Architektur vor Ort

Insoweit bedeutet eine spürbare Quartiersstarkung gleichzeitig auch eine Stärkung der Pflege-Architektur vor Ort. Wie sichern wir den sozialen Zusammenhalt und wie verhindern wir in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft Egoismus, Vereinzelung und Spaltungen in isolierte Gruppen und Milieus? Dies ist eine zentrale Zukunftsherausforderung sowohl hinsichtlich des Miteinanders der Generationen im demographischen Wandel, des zunehmenden Wohlstandsgefälles, der Stadt-Land-Unterschiede, der Disparitäten am Wohnungsmarkt, der Integration von Zugewanderten als auch der Inklusion von Menschen mit Behinderung.

Daher sollte der Einsatz für den sozialen Zusammenhalt ein Kernanliegen der künftigen Regierungskoalition im Bund sein.

Sozialpolitik muss hierfür aber aktiv werden und entsprechende Strukturen fördern. Es darf also nicht nur um materielle Verbesserungen für den individuellen Bürger über Steuersenkungen oder Sozialleistungen gehen, sondern um die konkrete Investition in den Aufbau von Kümmerer- und Vernetzungsstrukturen – nicht mehr nur über Modellprojekte, sondern durch eine systematische Verbreitung und Aufnahme bewährter Konzepte in das Regelsystem.

Quartiersansatz bundesweit etablieren

Sozialräumliche Konzepte, wie inklusive Quartiersprojekte, Mehrgenerationenhäuser, soziale Stadt-Projekte, Gemeinschaftswohnprojekte etc. haben gezeigt, wie vor Ort Engagement und Gemeinschaftlichkeit wirksam gefördert werden können. Gemeinwesenarbeit/Quartiersmanagement ist hierbei ein zentrales Instrument. Dies sollte systematisch und flächendeckend gefordert werden.

Eine Kofinanzierung diesbezuglicher lokaler Aktivitäten wäre z. B. denkbar über:

  • Bund-Länder-Programm Daseinsvorsorge (vgl. 7. Altenbericht der Bundesregierung)

  • Bundesstiftung “Zusammenhalt in Dorfern und Quartieren”

Bürger-Profi-Technik-Mix umsetzen

Um Selbstbestimmung und Teilhabe zu erreichen, sollte die Versorgung von assistenz- und pflegebedürftigen Menschen im Wohnquartier erfolgen. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels und der geringeren Leistungsfahigkeit familialer Versorgung sind gemischte Hilfenetzwerke aus Familie, Nachbarschaft, bürgerschaftlich Engagierten und professionellen Dienstleistungen erforderlich.

Die hierfür notwendige Aufgabe der Vernetzung und Koordination der verschiedenen Beteiligten ist im auf Einzelfallhilfe fixierten Sozialleistungssystem praktisch nicht vorgesehen. Wir schlagen daher vor, dass künftig ein bestimmter Anteil der Sozialleistungsausgaben fur dieses Case-Management eingesetzt wird.

Die Umsetzung ware z. B. denkbar über:

  • Individueller Rechtsanspruch auf Case-Management im jeweiligen Leistungsgesetz

  • Gemeinschaftsfonds Case-Management der Sozialkassen

Zu den Mitgliedern des Netzwerks SONG zählen
die Bank für Sozialwirtschaft, die Bertelsmann Stiftung,
die Bremer Heimstiftung, die Evangelische Heimstiftung (Stuttgart),
die Evangelisches Johannesstift – Altenhilfe gGmbH (Berlin),
das Evangelische Johanneswerk (Bielefeld),
das Kuratorium Deutsche Altershilfe, die Samariterstiftung (Nürtingen),
das Sozialwerk St. Georg (Gelsenkirchen),
die Stiftung Liebenau (Meckenbeuren),
die Franziskanerbrüder vom Heiligen Kreuz e.V. aus Bad Kreuznach
und die Stiftung Pfennigparade (München).”

gp