04. Der Kunde ist die wichtigste Person

Immer wieder wird auch in der Sozialwirtschaft die Frage gestellt:
“Wie sieht gute Führung aus und was ist gutes Management?”

Vereinfacht könnte man sagen: Führende tun die richtigen Dinge,
Manager machen die Dinge richtig.

Gute Führung ist für das Überleben eines Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Daher will ich unter dieser neuen Rubrik Führung und Management immer wieder Stellung zu dieser Thematik nehmen und meine Erfahrungen als langjähriger Geschäftsführer der CBT, eines großen und bedeutenden Sozialunternehmens, an dieser Stelle weitergeben.

Nachdem es in Kapitel 01 hieß: “Führung trifft auf Mensch”,
in Kapitel 02 “Was macht ein ideale Führungskraft aus?”  und in
Kapitel 03  “Wer nur rechnet, verrechnet sich!”,

will ich in den nächsten Kapiteln beschreiben, was sich ändern muss und
wie dies gelingen kann, nämlich mit einer werteorientierten Führungs- und Unternehmenskultur. Hierzu habe ich in Anlehnung an Tom Peters  das Konzept der tragenden Hand entwickelt und die in Unternehmen typische Organisationsstruktur umgedreht. An der Spitze stehen Kunden und Mitarbeitende, nicht die Vorstände oder Geschäftsführer.  Diese stehen unten und haben die tragende und dienende Aufgabe. So ist im Unternehmen  alles darauf ausgerichtet, den Kunden hohe Qualität und den Mitarbeitenden optimale Arbeitsbedingungen zu bieten.

Diese Philosophie spiegelt sich im folgenden Schaubild wider:

Dass dieses Konzept von Erfolg gekrönt ist, beweisen die Ergebnisse des Wettbewerbs „Bester Arbeitgeber Deutschlands“ bzw. „Bester Arbeitgeber
im Gesundheitswesen, an dem sich die CBT unter meiner Geschäftsführung dreimal beteiligt hat:

    • 95 % der Mitarbeiter sagen: „ meine Arbeit hat eine besondere Bedeutung für mich und ist nicht einfach nur ein Job.“
    • 95 % sagen, sie werden fair behandelt,
    • 88 % sind stolz auf das, was sie hier gemeinsam leisten,
    • 88 % empfehlen das eigene Haus,
    • 84 % sagen: „ dies ist ein guter Arbeitsplatz“.
    • die Krankheitsquote beträgt 3 %,
    • die Fluktuation 4 %
    • Annoncen zur Gewinnung von Fachkräften sind überflüssig.

Dies sind großartige Ergebnisse und der beste Beweis dafür, dass es sehr wohl möglich ist, trotz erschwerter Rahmenbedingungen dennoch für optimale Voraussetzungen in den Unternehmen zu sorgen, Mitarbeitende zu begeistern und mit Werten erfolgreich zu sein.

Wie könnte es also gehen?

Wie muss ein Unternehmen beschaffen sein, um erfolgreich zu sein, um gute Kräfte, die qualitäts- und kostenbewusst arbeiten, zu binden und neue zu finden?

Das Erfolgsgeheimnis ist so trivial, dass ich es kaum zu sagen wage:
Kümmere dich nicht um das Geschäft. Kümmere dich um deine Kunden und Mitarbeitenden. Der Rest kommt von alleine.

Vielleicht denken Sie jetzt: das tun wir doch auch. Für diese Information müssten wir nicht diesen Beitrag lesen. Aber tun Sie es wirklich, so wie ich Ihnen mein Konzept jetzt schildere und setzen Sie wirklich alles um, was so banal klingt, für den Erfolg aber elementar ist?

Die entscheidenden Kriterien für den Erfolg sind:

 

Der Kunde ist die wichtigste Person

Bewohner oder Patienten als “Kunden” sind die wichtigsten Personen im Unternehmen. Sie machen die Arbeit nicht schwierig. Sie machen sie möglich. Sie sind nicht abhängig von den Dienstleistern. Die Dienstleister sind abhängig von ihnen. Ihre Zufriedenheit ist das wichtigste Unternehmensziel, denn sie sichert die Existenz des Unternehmens, und nur der Kunde bezahlt die Leistung, niemand sonst.

Kunden- bzw. Bewohnerorientiert in diesem Sinne ist ein Unternehmen,
wenn alle wichtigen Entscheidungen von dem Wunsch beseelt sind, den Menschen besser zu dienen. Ihre Zufriedenheit, das Ausmaß der Erfüllung ihrer Ansprüche und Erwartungen, definiert Qualität, und nicht eine Zertifizierungplakette an der Wand oder Pflegenoten.

In der Beziehung zwischen Menschen –  und darum geht es in der Pflege –  zählt nicht das, was man messen kann, sondern das, worauf man zählen kann. Lebens- und Pflegequalität lässt sich daher nicht auf Noten reduzieren. 

Daher hielt ich den damals eingeschlagenen Weg der Pflegenoten für grundlegend falsch und setzte mich gemeinsam mit Thomas Klie für ein Moratorium und eine neue Ordnung der Verantwortung für Pflegequalität ein.  

Vielleicht interessiert Sie in diesem Zusammenhang folgender Artikel:

Pflegenoten: Warum kompliziert, wenn es auch
einfach geht? – Messen von Pflege- und Lebens-
Qualität leicht gemacht: alternative Prüfkriterien
in: Altenheim 9/2011

Link zum Artikel

Das einzige, was den Führungskräften und Mitarbeitern also wirklich dient und sie weiterbringt, ist der Blick auf den Kunden bzw. auf Bewohner, Patienten oder Klienten in der Sozialbranche, der enge Kontakt mit ihm, wenn man herausfindet, womit man ihn begeistern kann, was für ihn wertvoll , also gut, richtig, angemessen, gültig oder schön ist und das besser macht als die Konkurrenz.

In einem amerikanischen Altenheim fand ich im Eingangsbereich gut sichtbar für jeden Bewohner, Mitarbeiter und Besucher sieben Grundsätze zum Kundenverständnis des Hauses:

    • “Kunden sind Menschen, keine Buchungsnummern.
    • Kunden sind die wichtigsten Personen in unserem Unternehmen, ob persönlich, am Telefon oder in unseren Gedanken.
    • Kunden machen unsere Arbeit nicht schwierig, sie machen sie möglich.
    • Kunden sind nicht abhängig von uns, wir sind abhängig von ihnen.
    • Kunden sind nie unsere Gegner: niemals hat jemand eine Auseinandersetzung  mit einem Kunden gewonnen.
    • Kunden haben Bedürfnisse und Erwartungen, die wir zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit und zu unserer beider Wohl erfüllen müssen. 
    • Kunden sind die besten Freunde, die wir haben können.”

Aber ist der pflegebedürftige alte Mensch in einem Altenheim kundig und autonom? Oder sind nicht immer noch die Einrichtungen mit ihrer Organisation und die Betriebsabläufe sowie althergebrachte Gewohnheiten bestimmend, denen sich die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner anpassen müssen? Und wissen nicht vielfach immer noch die Mitarbeiter am besten, was Bewohner brauchen und gut für sie ist?

Mit dem Begriff Kunde allein ist es nicht getan – im Gegenteil: wir sollten in unserem Bereich vorsichtig damit umgehen, denn man darf bezweifeln,
ob ein schwer pflegebedürftiger, ein psychisch kranker Mensch oder ein auf Sozialhilfe angewiesener Bewohner seine Möglichkeiten als Kunde überhaupt ausschöpfen kann.

Noch problematischer wird der Kundenbegriff bei einem sterbenden Menschen. Ein Sterbender will bestimmt nicht Kunde
eines Dienstleistungsunternehmens der Pflege sein und der pflegende Mitarbeiter sieht sich bestimmt nicht als Verkäufer von Pflege.

Dennoch halte ich den Ansatzpunkt für richtig. Der Mensch muss selber entscheiden können, was für ihn gut ist und nicht die Einrichtung. Kundenorientiert in diesem Sinn ist ein Haus, wenn alle wichtigen Entscheidungen von dem Wunsch beseelt sind, den Bewohnern, Patienten, Klienten und Gästen als “Kunden” besser zu dienen. Die Einstellungen der Mitarbeitenden und alle organisatorischen Abläufe müssen auf dieses Ziel ausgerichtet sein.

„Pflege also deine Kunden, sonst pflegt sie bald ein anderer.“

Stets gilt das Grundprinzip: im Mittelpunkt steht dieser Mensch.
Es zählen größtmögliche Normalität, Teilhabe, die Sicht der Wirklichkeit
und die Erlebniswelt dieser Menschen, aber nicht die subjektive Betrachtung von Mitarbeitenden.

Doch wie oft ist es noch so in vielen Pflegeheimen, dass der Bewohner sein Leben danach ausrichten muss, wann das Geschirr wieder in der Küche zu sein hat. Immer noch heißt es häufig: bis 10:00 Uhr muss die Station stehen oder nach 16:00 Uhr gibt es keinen Kaffee mehr. Hier ist der Bewohner nicht König, sondern Bettelmann.

Sie kennen sicher selbst aus ihrer eigenen Praxis viele Beispiele, wo die Kundenorientierung und Kundensouveränität verletzt oder mit Füßen getreten wird.

Haben Sie im Spiegel (40/2013) die Geschichte von Tante Marie,
102 Jahre, alt gelesen?

Tante Marie möchte immer die „Vogelhochzeit“ singen. Doch die Pflegerin singt lieber etwas Frommes oder „Die Gedanken sind frei“.  Aber Tante Marie singt dann nicht mit. Den Kuchen, den man hier hinstellt, kann sie mit ihren Augen nicht sehen und kommt an ihn auch nicht heran.  Also räumen ihn die Mitarbeiter später unberührt wieder ab. Abends wird ihr das Essen hingestellt. Tante Marie versucht dann mit den Fingern die Spätzle zu finden. Dass ihr jemand helfen würde  und das Essen zum Mund reicht, dazu fehlt es an Personal. Tante Maries Heim bekam bei der Qualitätsprüfung durch die Pflegekassen eine glatte Note“ 1“!

Kundenorientiert ist auch nicht: einmal Salami bestellt, immer Salami bekommen. Lebensqualität wird auch nicht dadurch hergestellt, wenn es im Prospekt eines neuen Heimes heißt: „Wir pflegen nach Krohwinkel“.
Als alter Mensch frage ich mich dann: „Ist das eine hübsche Altenpflegerin,
die zu mir kommt?“

Mich interessiert vielmehr: „Wo ist die nächste Kneipe, kann ich Sky- Bundesliga empfangen oder noch besser: wer fährt mit mir nach Dortmund
ins Stadion, um meine von Kindesbeinen an geliebte Borussia zu sehen?“

Weitere wichtige Indikatoren für Lebensqualität und selbstbestimmte Teilhabe sind:

    • Kann ich Tag und Nacht ungestört Besuche in meinem Wohnraum empfangen?
    • Kann ich meine Sexualität leben?
    • Verfüge ich über einen eigenen Briefkasten?
    • Werden die Menschen in den Pflegeprozess integriert, die ich mir gewünscht habe?
    • Werde ich darin unterstützt, bestehende Kontakte zu Vereinen, Nachbarn und zu Einrichtungen von Kultur, Sport weiterhin zu pflegen?
    • Behalte ich meinen Hausarzt?
    • Kann ich meine Bürgerrechte als Wähler wahrnehmen?
    • Kommen junge Menschen ins Haus, um mich beim Surfen im Internet zu unterstützen oder mir die neusten Apps auf zu spielen?

Zur Kundenorientierung gehört auch die Einbeziehung von Angehörigen, Betreuern und Freunden der Bewohner in die Leistungserbringung. Ich bin sogar der Meinung, im Zuge der älter werdenden Bevölkerung müssen Angehörige noch stärker Mitverantwortung für das Leben, die Pflege und die Qualität in den Heimen übernehmen und nicht nur einmal im Jahr.

Cartoon von Thomas Plaßmann

Aber auch die baulichen und organisatorischen Strukturen bestimmen ganz wesentlich die Lebensqualität im Heim. So kann in kleinen autarken Wohngemeinschaften Beziehungspflege wirklich gelebt und gepflegt werden.

Menschen mit Pflegebedarf oder Demenz sind und bleiben Persönlichkeiten. Mitarbeitende gehen mit ihnen bedeutungsvolle Beziehungen ein und beteiligen sie so umfassend wie möglich am  Alltagsgeschehen des Heimes. Mitarbeitende, die so arbeiten können, sehen die Erfolge ihrer Arbeit täglich und motivieren sich hierdurch selbst.

So prägen nicht Krankheiten und Beeinträchtigungen, sondern Würde, Autonomie, Teilhabe, Normalität, Genuss, Freude, Schönheit und Spiritualität den Alltag. Nach meinen Erfahrungen bleiben Menschen mit Pflegebedarf in diesen Wohnformen länger aktiv, benötigen deutlich weniger Medikamente, sind gesünder, haben trotz Einschränkungen mehr Lebensfreude und sind zufriedener. PG-Sonden und Fixierungen werden weitgehend überflüssig.

Doch Altenpflege ist nach wie vor zu sehr ausgerichtet auf ein medizinisches Denk- und Handlungsmodell und zu stark von festen Strukturen eingegrenzt. Die vorrangige Orientierung an Krankheiten, Diagnosen und Defiziten führt bei Bewohnern zwangsläufig zu den drei Seuchen „Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile“ sowie bei den Mitarbeitenden zu „Demotivation, Gefühl der Ohnmacht, ausgebrannt sein und Flucht aus dem Beruf“.

Wenn dann noch das ganze gesamte System geprägt ist von Kostendenken, Rationierung, Budgetierung, Misstrauen und Kontrollen, dann dürfen wir uns über die negativen Ergebnisse nicht wundern.

Und dies ist der eigentliche Skandal: die Personalausstattung muss sich am tatsächlichen Pflegebedarf orientieren und nicht an willkürlich festgelegten Anhaltszahlen, die niemals betriebswirtschaftlich oder pflegewissenschaftlich ermittelt worden sind.

Das Grunddefizit in der Altenpflege ist seit 25 Jahren bekannt.
Die Personaldecke ist viel zu knapp, um eine angemessene und individuelle Pflege zu gewährleisten. Eine permanente personelle Unterbesetzung von täglich circa 20 Prozent –  dies habe ich bereits 1990 in einer Untersuchung ermittelt, veröffentlicht und politisch für Veränderungen geworben –  bedeutet eine grössere Arbeitsdichte und birgt das Risiko körperlicher und psychischer Überbelastung mit der Folge eines hohen Krankenstandes.

– siehe meinen Artikel von 1991 !! :
„Die Situation wird bedrängend. Bericht die Pflege zusammen, weil die Personalschlüssel nicht ausreichen? – Link zum Artikel

Hier eine höhere Qualität einzufordern, ist ein Hohn. Und geradezu zynisch ist, dass der MDK für seine Prüfungen jetzt noch mehr Personal eingestellt hat, die in der Pflege dringend gebraucht werden. Wir brauchen in unserem Land eine radikale Bewusstseinsänderung und keine weitere System-Flickschusterei.

Zur Schärfung des Kundenbewusstseins prägen Sie sich vielleicht folgende drei Sätze ein:

    • Frage nicht, was der Kunde für dich tun kann. Frage, was du für den Kunden tun kannst.
    • Haben Sie heute schon darüber nachgedacht, wer unser Gehalt bezahlt.
    • Möchten Sie in ihrem Haus Kunde sein?

Eine besondere Variante der Kundenorientierung habe ich in einem Dortmunder Cafe gelesen. Dort stand auf dem Schild im Eingangsbereich: „Wir bitten unsere werten Gäste, mit unserem Personal freundlich umzugehen.“

Kunden haben also Erwartungen und Wünsche. Es ist Aufgabe und Ziel von Sozialunternehmen, ihnen bestmöglich gerecht zu werden. Sie müssen ständig überprüfen, inwieweit ihre Leistungen diesen Erwartungen entsprechen und wie sie noch verbessert werden können.

Kunden in einem christlichen Unternehmen, also Bewohner oder Gäste, sind auch seine Nächsten. Hier gilt daher das christliche Motto:
“Liebe deine Kunden wie dich selbst.”

So kann aus Liebe zur Arbeit, aus “Liebe zum Kunden”, Qualität entstehen.

In diesem Kapitel habe ich beschrieben, dass der Kunde die wichtigste Person im Unternehmen ist. Im nächsten Kapitel behaupte ich:
Mitarbeitende sind das kostbarste Vermögen.