03. Wer nur rechnet, verrechnet sich!

Immer wieder wird auch in der Sozialwirtschaft die Frage gestellt:
“Wie sieht gute Führung aus und was ist gutes Management?”

Vereinfacht könnte man sagen: Führende tun die richtigen Dinge,
Manager machen die Dinge richtig.

Gute Führung ist für das Überleben eines Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Daher will ich unter dieser neuen Rubrik Führung und Management immer wieder Stellung zu dieser Thematik nehmen und meine Erfahrungen als langjähriger Geschäftsführer der CBT, eines großen und bedeutenden Sozialunternehmens, an dieser Stelle weitergeben.

Nachdem es in Kapitel 01 hieß: “Führung trifft auf Mensch” und in Kapitel 02 “Was macht ein ideale Führungskraft aus?”  stelle ich jetzt die Behauptung auf:

Wer nur rechnet, verrechnet sich!

„Ich habe das ethische und soziale Gesäusel satt, meinte der  damalige
Nestle-Chef Maucher. Er wolle in seinen  Betrieben Leute mit Kampfeswillen und Killerinstinkt.

Kampfeswillen und Killerinstinkt sind also die Tugenden der Gegenwart.
Ethik dagegen ist etwas für die ewig Gestrigen.

Der Mensch steht im Mittelpunkt, heißt es in Sonntagsreden, in den meisten Leitbildern und den Seminaren für Unternehmensethik. Doch die Realität sieht anders aus: in der heutigen Zeit des Shareholder-Value steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, weil so anderen Interessen im Weg, sondern er ist –
Mittel – Punkt! –  Zur Erzielung einer möglichst hohen Rendite!

Im Leitbild der Deutschen Telekom heißt es:“ Wir begeistern unsere Kunden durch exzellente Produkte und Services.“ Doch in Wahrheit wurden zig 1000 Mitarbeiter auf die Straße gesetzt und die Kunden suchten scharenweise das Weite.

Ein besonders perfides Beispiel: 

„Unser Unternehmen ist bestrebt, eine angemessene Vergütung zu zahlen
und allen Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz bereitzustellen.“
So die Botschaft von Nokia, ein Unternehmen, das im Jahr 2008 rund 2000 Menschen ihren Arbeitsplatz der Rendite wegen genommen hat.

Ein drittes Beispiel zur Glaubwürdigkeit von Leitbildern: Zwölf Jahre lang war Greg Smith Investmentbanker bei Goldman Sachs.  Dann hat er gekündigt
und aus seiner Kritik am moralischen Verfall der Bank ein Buch gemacht. Im Spiegel-Interview führte er aus:

Früher haben wir unsere Kunden als Partner betrachtet… Doch jetzt werden sie in internen E-Mails „Muppets“ genannt, also Trottel…“ Und weiter sagt er:„Du rätst deinen Kunden, in europäische Banken zu investieren, während du selbst gerade gegen sie wettest.“ ( Spiegel, Nr.44/29.10.12 )

Doch auch in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege ist vieles nur Schein.
Ein Leitbild wird hier ad absurdum geführt, wenn der Geschäftsführer eines Caritas-Trägers bei einer Tagung sagt: „Wenn wir unseren Häusern nur noch Dreier haben, ist es doch egal, wo das Essen herkommt, die bekommen sowieso nichts mehr mit.“ Dies widerspricht dem christlichen Menschenbild, ebenso der Charta der Rechte pflegebedürftiger Menschen.

Und wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus? Vor 15 Jahren arbeiteten in
39 Prozent der deutschen Betriebe keine  55 bis 64-jährigen mehr und
6 Prozent der  60 bis 69-jährigen hatten eine Festanstellung.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sind die Unternehmen allerdings zu einem Kurswechsel gezwungen worden. So ist der Anteil der 60 bis 64-jährigen auf 70 Prozent gestiegen und bei den 65 bis 69-jährigen auf 15 Prozent.

Cartoon von Thomas Plaßmann

Ein leidiges Thema sind auch befristete Arbeitsverträge. Noch 2014 galt der unbefristete Arbeitsvertrag als Luxus. 42 Prozent aller neuen Arbeitsverträge wurden befristet abgeschlossen. Betroffen davon waren vor allem Berufseinsteiger, Frauen, Geringverdiener und ausländische Arbeitnehmer.
Aktuell arbeitet fast jeder Fünfte unter 34 Jahren befristet.
Die meisten befristeten Verträge gibt es im öffentlichen Dienst mit 60 Prozent und in der Privatwirtschaft mit 40 Prozent. Besonders frustrierend ist für die Betroffenen die Situation in der Wissenschaft mit 87 Prozent befristeter Verträge.
(Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung- IAB)

In der Pflegebranche arbeiten  in NRW 27 Prozent in Teilzeit, in Bayern sogar 72 Prozent!

Cartoon von Thomas Plaßmann

Besorgniserregend ist, wenn wir uns in Europa umschauen: in Griechenland und Spanien ist jeder zweite junge Mensch ohne Job und Perspektive.

Insgesamt haben diejenigen, die noch Arbeit haben, immer stärker das Gefühl, zu Kosten-Nutzen-Faktoren degradiert zu werden. Denn im Zuge der Globalisierung werden Unternehmen von einem Tag auf den anderen an neue Eigentümer verkauft, geschlossen und an einem anderen Ort wieder aufgebaut. Die Menschen erleben sich so als Rädchen im Getriebe einer anonymen Maschinerie,  die  beliebig ausgetauscht werden.

Fast ein Viertel der Mitarbeiter haben innerlich gekündigt. 61 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. Nur noch 15 Prozent der Mitarbeiter haben eine emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber und sind bereit, sich freiwillig für dessen Ziele einzusetzen. Viele Mitarbeiter fühlen sich von Ihrem Unternehmen verraten.

Auch die Ergebnisse einer Untersuchung der Altenpflegebranche sind ernüchternd: 35 Prozent der Altenpflegekräfte gehen in Frührente als Folge von Personalmangel, hoher körperlicher und emotionaler Beanspruchung, aber auch wegen organisatorischer Defizite, geringer individueller Handlungsspielräumen sowie unregelmäßigen Arbeitszeiten infolge schlechten Managements und fehlender Führungskompetenz.
(Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

Die Folgen mangelnder Mitarbeiter-Bindung sind für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens jedoch erheblich. Wer sich emotional nicht an sein Unternehmen gebunden fühlt, zeigt weniger Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und ist häufiger krank.

Den meisten Managern ist es offenbar nicht gelungen, die Balance zwischen dem Werte-Zuwachs des Unternehmens und dem Wohl der Mitarbeiter zu finden.

Ist es nicht fatal: Untersuchungen haben zum Vorschein gebracht, dass
60 Prozent der deutschen Manager neurotisch sind. Da könnte man schon
die Frage stellen: muss man vielleicht neurotisch sein, um an  die Spitze zu kommen.?
Demnach sind 30 Prozent psychisch geschädigt, flüchten sich in Alkohol oder Tabletten. Ich- Zentrierung, Erfolg um jeden Preis, Lug und Trug und materielle Ausrichtung sind meistens die Begleiter.

Außerdem glauben nach eigener Einschätzung nur 29 Prozent der Manager autoritär zu sein. Die Mitarbeiter dagegen zählen 70 Prozent ihrer Vorgesetzten zu den autoritären Typen.
Insgesamt werden den Vorgesetzten in einer Untersuchung große Defizite im menschlichen Umgang bescheinigt.
(Geva-Institut, in Wirtschaftswoche 11/94).

Vor einigen Jahren wurden 272 Top-Führungskräfte in Deutschland nach ihrem Erfolgsgeheimnis befragt. Das Ergebnis war erschreckend: Sie fordern Mut, Flexibilität und Entscheidungsfreude und bieten genau das Gegenteil.
Sie sind ängstlich, misstrauisch, glatt und angepasst, weder sensibel, noch team- oder projektorientiert. Sie machen die Vorsicht zur Maxime, erklären Niederlagen und Fehler zum Tabu, stehen ständig unter Druck und unterdrücken so andere.

Und auf die Frage:“ Was braucht ein Manager unbedingt, wenn er Karriere machen will?“, wurde ein positives Menschenbild sowie ein intaktes soziales Umfeld nur ein einziges Mal genannt.

Auch wenn diese Untersuchungen schon etwas älter sind, haben sie meines Erachtens an ihrer Aktualität nichts eingebüßt, wenn man sich die Landschaft der Top-Führungskräfte anschaut. Manchmal könnte man sogar den Eindruck haben, dass sie sich Klonen.

Henning Schulte-Noelle (rechts im Bild) war von 1991 bis 2003
Vorstandsvorsitzender der Allianz SE und bis 2012 deren
Aufsichtsratsvorsitzender. 2003 trat er überraschend zurück.
Als Nachfolger wurde Michael Diekmann (links) berufen.
Sein Rücktritt wurde in Finanzkreisen mit dem Debakel
bei der Dresdner Bank in Verbindung gebracht.

Thomas Middelhoff, ehemalige Chef von Arcandor, der im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue und Steuerhinterziehung  zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden war, der für große Teile der Öffentlichkeit zum Inbegriff des gierigen, fehlgeleiteten Managers wurde, der Boni kassierte und das Wochenende in seinem Haus in Saint-Tropez verbrachte, während seine Mitarbeiter auf die Straße gesetzt wurden, schreibt als inzwischen geläuterter Mensch in seinem neuen Buch „Schuldig“ – August 2019 – schonungslos die Todsünden auf, denen er erlegen gewesen sei: „Hochmut, Narzissmus, Gier, Neid, Wollust, Maßlosigkeit und Zorn“.

Offenbar zählt nur noch, wer und was sich rechnet.

Auch Sozialunternehmen sind auf dem besten Weg, Sklaven einer Ökonomie zu werden, die, statt den Menschen zu dienen, sich zu deren Herrn entwickelt hat. Hier stehen immer öfter nicht Menschen und fachliche Konzepte im Mittelpunkt, sondern Zahlen, wenn Geschäftsführer mit mangelnder Sozialkompetenz und wenig Führungskompetenz eingestellt werden und sich mit miesen Tricks die Erfolge des Vorgängers auf die eigene Fahne schreiben.

So meinte ein neuer Geschäftsführer, sich auf Kosten seines Vorgängers,
der ein renommiertes und wirtschaftlich sowie fachlich bestens aufgestelltes Sozialunternehmen aufgebaut, über Jahrzehnte erfolgreich geführt und dann übergeben hat, mit einem miesen Trick profilieren zu können, indem er durch Änderung des Bewertungsansatzes außerplanmäßige Abschreibungen in erheblicher Höhe einen bilanziellen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe nachwies, um dann zu behaupten , er habe ein vor der Insolvenz stehendes Unternehmen übernommen und sanieren müssen. Allerdings gerieten die Banken wegen ihrer anscheinend gefährdeten Kredite und der fehlenden Kreditwürdigkeit in helle Aufregung, so dass dieser Geschäftsführer wieder Zuschreibungen vornehmen musste. Was für ein Trauerspiel, auch, dass Aufsichtsräte hier in ihrer Kontrollfunktion völlig versagen.

Solche Manager schaden der Sozialbranche, die

    • von der sozialen Arbeit wenig verstehen
    • soziales, unternehmerisches Handeln durch kalte Managementmethoden ersetzen und Instrumente verwenden, die schon in der so genannten freien Wirtschaft versagt haben,
    • Mitarbeitende nicht informieren,
    • sie nicht in Entscheidungsprozesse einbeziehen,
    • freiwerdende Stellen nicht nach besetzen, um Überschüsse zu erzielen,
    • nur noch in Kosten denken,
    • Fachkräfte gegen Hilfskräfte austauschen,
    • Personal-Service-Gesellschaften gründen, um die dort angestellten Mitarbeiter wieder an sich zurück zu verleihen und   
    • im Outsourcen oder Fusionen das Allheilmittel suchen.

Zu Fusionen eine kleine Anekdote: 

Ham and Eggs – „ Schinken und Eier“

Eines Tages schlug das Huhn dem Schwein eine enge Zusammenarbeit vor. Das Huhn sprach also von Kooperation, sprach von Fusion und schwärmte von den Chancen, die darin stecken – nach einer gewissen Durststrecke am Anfang freilich. Das Schwein hörte sich schweigend an, was das Huhn zu sagen hatte und fragte dann, wie das Ganze denn genau aussehen solle.

„ Wir gründen die Firma „ Ham and Eggs“, also „ Schinken und Eier“, sagte das Huhn.
Darauf das Schwein: „Du bist verrückt, das bedeutet doch meinen sicheren Tod“.
„Das ist der Sinn einer Kooperation“, bemerkte das Huhn trocken.

(Quelle unbekannt)

Können Sie sich noch an die Fusion von Daimler-Chrysler 1998 erinnern? Diese Fusion „sei im Himmel geschlossen“, jubelte der Vorstand und versprach vollmundig: „Dies wird das innovativste, profitabelste und weltweit am besten aufgestellte Unternehmen seiner Branche werden“. 

Doch nur zwei Jahre später ging die Sache schief und wurde zum Symbol für Größenwahn. Verantwortlich dafür war der Vorstandsvorsitzende Jürgen Schrempp. Er wollte als Manager in die Geschichte eingehen, der Maßstab setzt. Schrempp hat hier schlappe 20 Mrd. € in den Sand gesetzt.,

Wenn Größe das entscheidende Kriterium wäre, müssten die Dinosaurier heute noch leben.

Ganz aktuell verkündet der Volkswagen-Konzern, dass er 5000-7000 Stellen abbauen will. Der Vorstand hat die Entwicklung bei den Elektroautos verschlafen und durch seine betrügerischen Manipulationen mit der Diesel- Software allein im Jahr 2019 einen Schaden durch Umsatzeinbußen von  über 1 Milliarde Euro zu verantworten, der Betriebsrat spricht sogar von 3,6 Milliarden €. 

Grösse bedeutet nicht automatisch Wettbewerbsfähigkeit. In Deutschland sind ca. 3,5 Millionen kleine und mittelständische Firmen das Fundament der Wirtschaft und nicht Grosskonzerne.

Auch die Leiharbeit vor allem in der Pflegebranche ist ein immer größer werdendes Problem. Aufgrund des Fachkräftemangels und der unzureichenden Personalschlüssel sehen sich immer mehr Träger außer Stande, den Dienstplan aufrecht zu erhalten und setzen so auf Leiharbeitskräfte. Eine derartige Unternehmenspolitik hat negative Auswirkungen auf die Höhe der Personalkosten, auf die Kommunikation, auf die Zusammenarbeit mit den fest angestellten Mitarbeitenden und vor allem auf die Bewohner mit Pflegebedarf oder Demenz. Diese müssen sich kurzfristig auf für sie fremde Mitarbeitende einstellen, die ihre Lebensgeschichte, Ihre Wünsche und Bedürfnisse überhaupt nicht kennen können. Doch Pflege ist immer auch Beziehung und die Biografie eines Menschen von erheblicher Bedeutung für die Begleitung und Assistenz.

Bei einer Konferenz vor wenigen Tagen hörte ich von einem größeren Pflegekonzern, dass dieser für die Leiharbeit 4 Millionen € budgetiert hatte. Tatsächlich angefallen waren schließlich 12 Millionen €. Die Differenz von 8 Millionen € und einem Indikator von zwölf bedeutet letztendlich, dass dieser Konzern 96 Millionen € des Unternehmenswertes in den Sand gesetzt hat.

 

Cartoon von Thomas Plaßmann

Manager müssen nicht nur in Bilanzen schauen können, sondern auch in den Spiegel. Wer glaubt, dass nur zählt, der sich rechnet, wird erleben, dass der,
der nicht mehr zählt, auch nicht mehr zahlt. 

Der (Alb-) Traum vom allgemeine Kosten-Nutzen-Denken schlägt dann auf seine Urheber zurück.

Wir erleben also eine werte- ver- rückte Welt mit einer qualitativen Veränderung von sozialen Beziehungen, die immer mehr unter das Diktat des Marktes fallen und  Warencharakter annehmen.

Beziehungen verlieren ihren Eigenwert, sie werden daraufhin überprüft, welchen Nutzen sie haben, wie effektiv sie sind und inwieweit sie etwas „bringen“.

Wir begegnen uns nicht mehr als Menschen, als Partner oder als Nächste, sondern als Kunden. Plötzlich sind wir alle Verkäufer geworden und spüren nicht die Gefahr, dass wir uns selbst verkaufen.

Ohne Ethik und ohne eine Vision von einer menschlichen Zukunft, bleiben wir die Sklaven dieses Systems, einer Wissenschaft und einer Technik, die den Menschen beherrscht.

In den nächsten Kapiteln werde ich beschreiben, was sich ändern muss und wie dies gelingen kann.